Eine ruhige Ankerbucht zu finden und richtig zu beurteilen gehört für mich zu den zentralen Fähigkeiten an Bord. Gerade wenn die Crew entspannt baden, schlafen oder der Wetterbericht am Abend einen Schwall Wind ankündigt, zeigt sich, ob man die Bucht richtig eingeschätzt hat. In diesem Beitrag teile ich meine praktische Herangehensweise: wie ich Wind, Strömung, Tiefen und natürlichen Schutz optisch und mit Hilfe von Hilfsmitteln beurteile — und welche Fehler ich seit meinen ersten Törns gelernt habe zu vermeiden.
Erste visuelle Einschätzung: Was ich vom Ausguck aus suche
Bevor ich zum Ankerplatz laufe, mache ich mir einen schnellen visuellen Check vom Vorschiff oder am Mast hoch. Dabei achte ich auf folgende Punkte:
- Windrichtung und -stärke: Flaggen, Wellenkämme und Rauch aus Schornsteinen verraten oft mehr als der Kompass. Wenn die Ankerbucht offen in die vorherrschende Windrichtung liegt, ist Vorsicht geboten.
- Wellen- und Dünungsrichtung: Eine Bucht kann gegen Wind geschützt, aber gegen Swell offen sein — das ist unangenehm und kann nachts das Boot schaukeln.
- Strömungsverhältnisse: Strudel, heckende Wasserwege oder schaumige Linien deuten auf starke Strömung hin. Besonders in engen Einfahrten kann Strömung das Abankern erschweren.
- Schiffverkehr und Ankerfelder: Viele Boote bedeuten meist guten Grund — aber auch weniger Platz zum Schwojen. Achte auf Berufsschifffahrt und Angelboote.
- Uferbeschaffenheit: Felsig oder schlammig? Eine zum Anlanden geeignete Stelle ist für Notfälle hilfreich.
Tiefen und Boden: Wie ich sie schnell einschätze
Die Tiefe und der Ankergrund sind entscheidend für die Haltbarkeit. Ich nutze immer mehrere Quellen:
- Seekarten und elektronische Karten: C-Map oder Navionics geben mir Tiefenlinien und Angaben zum Grund (Sand, Schlick, Fels). Ich vergleiche Papierkarte mit der elektronischen Anzeige.
- Echo-Sounder: Beim Einlaufen taste ich mit dem Echolot Abstände ab, um eine geeignete Tiefe für den gewünschten Trawler zu finden. Für eine 4-m-Wassertiefe mit 2 m Luft zum Grund plane ich mehr Kette als bei flachen Buchten.
- Probeschläge: Wenn ich unsicher bin, lasse ich den Anker kurz fallen und führe einen Halte-Test durch: Rückwärts mit mehr Leistung und prüfen, ob sich das Boot setzt.
- Visuelle Anzeichen: Klare, hellere Wasserzonen deuten oft auf Sand, dunkle auf Seegras oder Felsen. Vogelschwärme fischen häufig über sandigen, nährstoffreichen Flächen.
Wind und natürlicher Schutz: Worauf ich beim Einlaufen achte
Eine Bucht kann auf der Karte geschützter wirken als in Wahrheit. Ich beurteile:
- Schutz durch Landmassen: Hohe Klippen und bewaldete Ufer dämpfen Wind deutlich besser als flaches Land. Eine von drei Seiten geschützte Bucht übersteht oft Dreher im Wind.
- Sudden gust corridors: Engpässe zwischen Landzungen können Wind beschleunigen — das führt zu Böen, die plötzlich auftreten.
- Fahrwasserschwaden: Luvseite großer Landzungen hat oft ruhigeres Wasser. Ich suche die am weitesten ins Land ragende Kuhle.
Strömung: Praktische Hinweise
Strömung kann ankernde Boote stark belasten. Ich messe und beurteile wie folgt:
- Tidenkalender und Prognosen: In Gezeitenrevieren kontrolliere ich Flut-/Ebbe-Zeiten und Strömungsstärken. Manche Einfahrten werden bei starkem Strom unpassierbar.
- Markierungen im Wasser: Bojen, schwimmende Vegetation oder ankernde Schiffe zeigen oft, wie die Strömung verläuft.
- Ausweich- und Drehräume: Wenn die Strömung stark ist, ist mehr Kettenlänge nötig, und die Gefahr von Kette-auf-Kette-Kollision steigt. Ich gebe großzügig Schwojraum.
Routenwahl und Ankerplatzwahl: Meine Prioritäten
Beim Aussuchen des genauen Platzes in der Bucht priorisiere ich:
- Sicherheit vor Komfort: Lieber etwas weiter außen in tieferem Wasser mit gutem Halt als flach und eingeschlossen, wenn bei Sturm die Bucht Wasser aufwühlt.
- Platz zum Schwojen: Ich rechne den Mindestradius aus: Kettenlänge + Länge des Schiffes + Sicherheitsabstand zu Nachbarn. Häufig benutze ich die Faustregel 3–5-fache Wassertiefe als Kettenlänge (abhängig vom Grund).
- Richtung des Schlafens: Ich achte darauf, dass das Heck nicht direkt auf offenen Seegang zeigt, damit Badeplattformen und jene, die schlafen, nicht unnötig belastet werden.
Checkliste vor dem Fallenlassen des Ankers
- Kartenlage (Paper/Electronic) prüfen
- Windrichtung notieren und mit Kompass vergleichen
- Tiefenlinie mit Echolot abfahren
- Grundart prüfen (Sand/Schlick/Stein/Seegras)
- Ausreichende Kettenlänge festlegen (Scope)
- Sicherheitsabstand zu anderen Booten berechnen
- Notieren des GPS-Punktes als Backup
- Ankeralarm einstellen (Smartphone/App oder Plotter)
Technik und Ausrüstung: Was ich an Bord empfehle
Ein guter Anker, passende Kette und ein funktionierender Windlass sind für mich keine Luxusgegenstände, sondern Sicherheitsausrüstung. Meine Erfahrungen:
- Ankerformen: Rocna und Mantus haben bei mir auf sandigen Böden sehr gut gehalten. Für felsige Böden ist oft ein plattliegender Bruce oder ein klassischer CQR nützlich.
- Kette vs. Leine: Kette ist bei mir Standard bis in die Ankerkombination mit einem kurzen Kettenstück und anschließender Polyester-Leine nur in Seen oder sehr geschützten Buchten üblich. Kette dämpft Schläge besser und setzt den Anker.
- Snubber und Briden: Ein Snubber reduziert Belastung auf den Windlass und beruhigt das Schiff in Wellen.
- Elektronik: Plotter (z. B. Raymarine oder Garmin) mit Ankeralarm, kombiniert mit Smartphone-Apps wie Navionics oder Anchor Watch, gibt mir doppelte Sicherheit.
Halten prüfen: Mein Standardverfahren
Nach dem Fallenlassen und Einbringen der geplanten Kette führe ich einen Halte-Test durch:
- Rückwärts mit motorischer Leistung (z. B. 1500 U/min) für 1–2 Minuten und beobachten, ob das Boot in die gewünschte Position zurückrutscht.
- Echolot und GPS beobachten: Setzen sich Tiefen- oder Positionswerte? Wenn ja, Anker neu setzen.
- Kontrollblick: Am Ende des Tests schaue ich aufs Heck, ob der Anker „eingebuddelt“ wirkt (Kette liegt gesetzt, Boot steht stabil).
Nachtankern und Ankerwache
Beim Einlaufen in eine Bucht zum Nachtankern bin ich besonders vorsichtig:
- Ich vermeide enge Buchten, wenn starker und drehender Wind angekündigt ist.
- Ich stelle eine Ankerwache auf (Crew wechselt alle 2–3 Stunden) und nutze elektronische Alarmmittel.
- Eine zweite Ankerkette (Heckanker oder Schmetterlingsanker) verwende ich bei längerem Aufenthalt oder ungünstigen Winddrehern.
Tabelle: Typische Grundarten und ihr Verhalten
| Grundart | Halt | Besonderheiten |
|---|---|---|
| Sand | Sehr gut | Ideal für moderne Anker (Rocna, Mantus). Einbettet sich schnell. |
| Schlick/Schlamm | Gut bis mäßig | Anker kann tief einsinken, Haltefähigkeit abhängig von Ankerform; mehr Kette erforderlich. |
| Seegras/Algenteppich | Schwierig | Anker kann sich verfangen oder nicht greifen; Abziehen und neu setzen oft nötig. |
| Fels/Stein | Unzuverlässig | Anker kann nicht einhalten; Abhilfe: Heckanker, Vorsicht bei Raum zum Schwojen. |
Beim Beurteilen einer Ankerbucht gibt es keine perfekte Checkliste, die jede Situation abdeckt — das Meer bleibt variabel. Aber eine systematische Herangehensweise, Kombination aus visueller Einschätzung, elektronischen Hilfsmitteln und einem bewussten Halte-Test vermeidet die meisten unangenehmen Überraschungen. Wenn du magst, schreibe ich demnächst eine Schritt-für-Schritt-Anleitung mit Fotos vom Auslaufen, Setzen und Abprüfen des Ankers in verschiedenen Revieren.