Radar richtig lesen: wie man Ziele identifiziert, Kursabweichungen erkennt und Kollisionsrisiken minimiert

Radar richtig lesen: wie man Ziele identifiziert, Kursabweichungen erkennt und Kollisionsrisiken minimiert

Radar gehört für mich zu den zuverlässigsten Helfern auf See — besonders bei schlechter Sicht oder in engen Fahrwassern. Trotzdem sehe ich immer wieder, wie falsch interpretiertes Radar mehr Verwirrung stiftet als Klarheit. In diesem Beitrag erkläre ich, wie ich Ziele auf dem Radarschirm identifiziere, Kursabweichungen erkenne und welche Maßnahmen ich ergreife, um Kollisionsrisiken zu minimieren. Die Tipps stammen aus hundertfachen Übungsstunden, Langfahrt-Erfahrungen und dem regelmäßigen Testen verschiedener Geräte (z. B. Raymarine, Simrad, Garmin).

Verstehen, was der Radarschirm wirklich zeigt

Das Wichtigste zuerst: Radar zeigt Echoes — also reflektierte Signale von Objekten. Ein Punkt oder ein Echo ist nicht automatisch ein Schiff: Tonnen, Seezeichen, Wellenkämme, Landmassen und sogar Regen erscheinen auf dem Bildschirm. Ich beginne immer damit, das Umfeld zu kontextualisieren: Was weiß ich aus der Seekarten-App, aus AIS und vom tatsächlichen Sichtfeld?

Praktische Reihenfolge bei der ersten Sichtung eines neuen Targets:

  • Kalibrierung prüfen: Reichweite, Gain, Sea- und Rain-Filter einstellen.
  • Vergleich mit AIS: Stimmen Zielsymbole überein (falls vorhanden)?
  • Visuelle Verifikation: Ist das Ziel auch optisch zu erkennen oder durch Fernglas?
  • Bewegungsanalyse starten: Kurs und Geschwindigkeit des Ziels beobachten (Kurzzeittrends).
  • Zielidentifikation: Schiff, Boje oder Wetterzelle?

    Für mich gibt es zwei Methoden, die sich gut ergänzen:

  • Statisches Merkmal: Größe und Form des Echos. Ein langgestrecktes Echo deutet oft auf Land oder große Wellenkante, punktförmige, sich bewegende Echos sind meist Schiffe.
  • Dynamisches Verhalten: Schiffe bewegen sich entlang kontinuierlicher Linien, Tonnen bleiben stationär, Wetterzellen breiten sich diffus aus und verändern ihre Struktur schnell.
  • Wenn AIS-Daten vorhanden sind, nutze ich sie zur Bestätigung. AIS ist nicht unfehlbar — kleine Boote oder aus-geschaltete Sender tauchen nicht auf — aber die Kombination von Radar und AIS gibt mir ein viel klareres Bild.

    Kursabweichungen erkennen (relative Bewegung verstehen)

    Ein häufiger Fehler ist, nur den absoluten Kurs auf dem Radar zu betrachten. Wichtiger ist die relative Bewegung — wie sich ein anderes Verkehrsteilnehmer relativ zu mir verhält. Ich nutze dafür zwei einfache Tricks:

  • Verfolgung über Zeit: Ich markiere ein Ziel (Mark-Funktion oder Trackback) und beobachte die Linie über 1–5 Minuten. Eine gerade Linie bedeutet konstanten Kurs; eine sich biegende Linie zeigt Kursänderungen.
  • Bahnlinien einschalten (True/Relative Motion): Bei relative motion sehe ich, ob ein Ziel scheinbar auf Kollisionskurs auf mich zu läuft (dann bleibt es konstant in Richtung und Abstand ändert sich). Bei true motion erkenne ich die tatsächliche Fahrspur des Ziels über Grund.
  • Ein praktisches Indiz für Kursabweichung ist, wenn ein Ziel seinen Sektor auf dem Schirm behält (z. B. immer in meinem Bugbereich), aber die Entfernung sich verkürzt — dann sind wir auf Kollisionskurs. Wenn sich der Azimut ändert, läuft das Ziel an mir vorbei.

    CPA und TCPA: Zahlen, die man verstehen muss

    Moderne Radargeräte mit ARPA/Target-Tracking liefern CPA (Closest Point of Approach) und TCPA (Time to CPA). Ich betrachte diese Werte nicht als absolute Anweisung, sondern als Entscheidungsgrundlage:

    Situations-TypEmpfohlener CPAKommentar
    Enge Reviere / Lotsenfahrwasser≥ 0,2 NMHöhere Vorsicht, frühes Ausweichen planen
    Offenes Meer bei Sichtmangel≥ 0,5–1,0 NMJe nach gefahrenem Schiffstyp
    Kleine Freizeityachten unter Motor≥ 0,1–0,5 NMManövrierfähigkeit beachten

    Diese Zahlen variiere ich je nach Geschwindigkeit, Verkehrsaufkommen und Navigationserfahrung. Wenn das TCPA sehr kurz ist (z. B. < 10 Minuten), erhöhe ich die Wachsamkeit sofort und plane ein sicheres Manöver.

    Filter und Einstellungen: So optimiere ich den Schirm

    Ein schlecht eingestelltes Radar erzeugt Fehlalarme. Das sind meine Standard-Einstellungen, bevor ich eine längere Passage beginne:

  • Gain auf niedrig-mittlerem Level, um Rauschen zu reduzieren.
  • Sea-Filter leicht erhöhen bei rauer See (verringert Wellenechos).
  • Rain-Filter stark erhöhen bei Starkregen, ansonsten niedrig halten.
  • Clutter-Zonen für die eigene Wellen- bzw. Bugreflektion anpassen.
  • Track-Lifetime auf 3–10 Minuten stellen (je nach Verkehrsdichte).
  • Wichtig: Nach Änderungen an Reichweite oder Gain kurz beobachten — manchmal erscheinen neue Ziele erst nach einer vollen Sweep-Periode.

    Manövrierregeln und praxisnahe Maßnahmen

    Wenn ich ein Kollisionsrisiko identifiziert habe, gehe ich so vor:

  • Erst bestätigen: Radar, AIS, optische Sicht, ggf. Funkruf (VHF) nutzen.
  • Frühzeitig manövrieren: Kleine, frühe Korrekturen sind oft effektiver als starke, späte Manöver.
  • Kommunikation: Bei unklaren Absichten rufe ich das andere Schiff an, nenne Kurs, Geschwindigkeit und meine Absicht (z. B. "Weichen Sie Steuerbord aus").
  • Notfallplan parat haben: Volle Fahrt stoppen, Anker bereit oder Maschine rückwärts.
  • Bei Engstellen oder viel Verkehr neige ich dazu, Konservativität zu wählen: Lieber mehr Abstand als nötig halten.

    Tipps für die Praxis: Übungen, Fehler, die ich gemacht habe

    Einige Aha-Momente lernte ich auf Törns bei Nacht oder Nebel. Hier ein paar persönliche Lessons Learned:

  • Verlasse dich nie ausschließlich auf eine Anzeige. Einmal blendete ein Sonnenreflex das Display derart, dass ich ein nahe Schiff übersah — AIS rettete die Situation.
  • Übe regelmäßig: Ich mache Navigationsübungen mit Markierungen und vergleiche Radar, AIS und visuellen Beobachtungen.
  • Kenntnis des eigenen Systems: Jedes Radar tickt anders. Ich kenne jetzt die "Eigenheiten" meines Raymarine-Modells, z. B. wie schnell es Filter anpasst.
  • Vertrauen aufbauen: Trainiere bei gutem Wetter verschiedene Einstellungen, damit du in kritischen Situationen schnell reagieren kannst.
  • Wartung und Technik

    Ein sauberes Antennenblatt und regelmäßige Software-Updates sind für mich Pflicht. Ich prüfe vor jedem längeren Törn:

  • Antennenbefestigung und Kabel auf Korrosion oder Lockerung.
  • Software- und Kartenupdates (besonders wenn Radar-Fusion mit Karten funktioniert).
  • Backup-Strategien: Zweites Display oder App mit Radar-Overlay, falls das Hauptsystem ausfällt.
  • Marken wie Raymarine, Simrad oder Garmin bieten inzwischen gute Integrationslösungen (Radar + AIS + Karten). Trotzdem ist menschliches Urteilsvermögen unersetzlich.

    Checkliste vor und während der Fahrt (kurz)

  • Gain/Filter eingestellt?
  • AIS aktiviert und geprüft?
  • Track-Mode eingeschaltet?
  • CPA/TCPA-Alarm gesetzt?
  • Notfallmanöver geplant?
  • Wenn all diese Punkte abgehakt sind, segle ich mit deutlich mehr Ruhe — und mit der Gewissheit, dass ich auf dem Radarschirm nicht nur Punkte, sondern mögliche Risiken erkenne und sicher handele.


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