Ein Mensch über Bord ist für mich eine der intensivsten und zugleich am meisten unterschätzten Notlagen auf See. Als kleines Crewmitglied oder Skipper einer kleinen Yacht habe ich gelernt: Ruhe, klare Rollenverteilung und wiederholte Übungen entscheiden darüber, ob die Rettung schnell und sicher gelingt. In diesem Beitrag beschreibe ich die effektivsten Sofortmaßnahmen und praktikablen Übungen für kleine Crews — praxisnah, ohne Schnickschnack.
Erste Reaktion: die Sekunden, die den Ton angeben
Sobald jemand über Bord geht, beginnt in meinem Kopf ein klarer Ablauf: laut und deutlich „Mann über Bord“ rufen, Blickkontakt halten, sofort einen Fixpunkt auf dem Opfer markieren (Boot, Welle, besonderer Fleck im Wasser). Bei mir bedeutet das: ich rufe, wer immer gerade an Deck ist, macht das Rettungsmanöver klar, und jemand hält dauernd Blickkontakt.
Wichtig sind diese drei Sofortmaßnahmen:
Alarmieren — laut rufen, auch wiederholen; wenn vorhanden, MOB-Knopf am Instrument (AIS MOB, NMEA 2000) drücken.Markieren — Boje/Wurfeinrichtung werfen, ein Signal (Orange-Flagge, Rettungsring) ins Wasser halten.Publikum fernhalten — Vermeiden, dass weitere Crewmitglieder ohne Sicherung ins Gleiten oder ins Schleudern geraten.Wer macht was? Rollen bei kleiner Crew (2–3 Personen)
Bei kleinen Crews ist klare Aufgabenverteilung essenziell. Ich teile die Aufgaben so ein:
Person 1 — Retter / Steuermann: Übernimmt das Steuerrad oder gibt dem Motorbediener klare Befehle. Führt das Manöver (Anderson- oder Williamson-Turn) aus.Person 2 — Markierer / Werfer: Hält Blickkontakt, wirft Rettungsring/Lifebuoy, hält Stander mit Leuchte bereit, beobachtet Wind und Strömung.Person 3 (falls vorhanden) — Motor / Blocking: Steht bereit, um Gas zu geben, den Motor zu stoppen oder Enterhaken/Leinen zu bedienen und hilft bei der Winden-/Kranbedienung.Bei zweiköpfiger Crew wird eine Person oft zwei Rollen gleichzeitig übernehmen — also noch wichtiger: einfache, einstudierte Abläufe.
Sofortmanöver: welchen Turn wähle ich?
In der Praxis nutze ich drei Manöver, je nach Situation:
Anderson-Turn (Kurzkehre) — schnell, gut bei ruhiger See und sichtbarem Opfer. Ein Kurs in Richtung Opfer, dann hart auf Steuerbord/Backbord, eine halbe Kreisbahn und zurück zum Opfer.Williamson-Turn — wenn die genaue Position verloren ist oder bei starker Strömung. Sehr nützlich, um zum ursprünglichen Kurs zurückzukehren und die Suche systematisch zu beginnen.Quick Stop mit Motor — bei Motorbooten: Motor stoppen, minimaler Schub rückwärts, um möglichst nahe am Opfer zu bleiben; sehr effektiv, wenn jemand unmittelbar neben dem Boot ins Wasser gefallen ist.| Manöver | Vorteile | Nachteile |
|---|
| Anderson-Turn | Schnell, direkt, wenig Raum | Requires good visibility |
| Williamson-Turn | Systematisch, gut bei Desorientierung | Nimmt mehr Zeit und Platz |
| Quick Stop | Nahaufnahme möglich, präzise | Erfordert Motorbeherrschung, Gefahr für Propeller |
Technik und Ausrüstung, die bei mir an Bord nie fehlen
Über die Jahre habe ich Geräte gelernt zu schätzen, die in der Praxis wirklich helfen:
Lifesling oder Rettungsschlinge (z. B. Spinlock, Ocean Safety): Einfach in der Handhabung, ideal zum Einholen einer bewusstlosen Person.Automatische AIS-MOB-Transponder / Man over Board Knopf (Garmin, B&G): Sobald gedrückt, markiert das Gerät die Position im Plotter und sendet ein Not-Signal.Funk / Handfunkgerät: VHF DSC-Alarm senden sowie MAYDAY vorbereiten.Jacklines und Sicherheitsgeschirre: Verhindern, dass es überhaupt zum MOB kommt — mein bester Präventions-Einsatz.Wurfring mit Leine: Muss permanent griffbereit sein. Ich befestige ihn an der Reling, nicht in der Backskiste.PLB / EPIRB: Für den Notfall, wenn Rettung durch Bordcrew nicht möglich ist.Praktische Hinweise zur Wiederaufnahme an Bord
Die Bergung ist oft das schwierigste. Hier meine erprobten Tipps:
Vorbereiten: Bevor man das Boot zum Opfer bringt, mache ich eine Anker- oder Heck-Leinen-Strategie klar: Wo wird das Opfer an Bord geholt? Heck kann mit Badeleiter oder Kran funktionieren.Propeller-Schutz: Motor abschalten, sobald die Person nahe genug ist; ich habe immer klar definierte Handzeichen für „Stop“ und „Schub rückwärts“.Use a Lifesling: Die Lifesling kann von einer Crewperson ins Wasser gelassen und vom Opfer schnell ergriffen werden — danach wird die Leine möglichst waagrecht eingezogen.Bewusstlosigkeit: Sofort Check der Atmung, bei Bedarf Reanimationsmaßnahmen an Bord vorbereiten, Wärmedecke bereitstellen.Übungen: regelmäßig, realistisch, knapp
Drills sind kein Luxus — bei mir sind sie verpflichtend:
Monatliche kurze MOB-Drills: Werfe die Boje, markiere, fahre einen Anderson-Turn. Dauer: 15–20 Minuten.Vierteljährliche Vollübung: Mit Puppe oder inszeniertem Fall, Bergung mit Lifesling, Kommunikation per VHF, Simulation einer Rettung durch Dritte.Rollenspiele für kleine Crews: Jeder mal die Rolle „Opfer“ und „Steuermann“. Das schafft Verständnis für Stress und Zeitdruck.Fehler, die ich gemacht habe (und wie ich sie vermeide)
Ich habe gelernt, dass viele Fehler aus Hektik entstehen:
Unklare Kommandos — seitdem standardisiere ich Sprache und Handzeichen.Nicht ausreichend Sicherung — alle an Deck müssen mit Gurt und Jackline arbeiten, wenn es ruppig wird.Verlorene Sicht — deshalb markiere ich die Stelle sofort mit GPS, AIS-MOB und Wurfsack, um die Suche zu erleichtern.Die wichtigste Lehre: Vorbereitung übertrifft improvisierte Heldentaten. Ein paar einfache Hilfsmittel, klare Abläufe und regelmäßige Übungen machen aus einer kleinen Crew ein effektives Rettungsteam.
Checkliste für die Bordtasche (zum Ausdrucken)
AIS-MOB/PLB und Bedienung geübtWurfring & Lifesling griffbereitJacklines & Gurte an DeckVHF-Funk & Notfallmeldung geübtRegelmäßige MOB-Drills im Logbuch vermerktWenn du möchtest, stelle ich dir gern eine druckbare Übungsabfolge für deine Crew zusammen oder gehe auf spezielle Situationen ein (Nacht, schwere See, starkes Stromfeld). Segel wohl und bleibt sicher auf See.